The Sheol Campaign Setting Project
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Immortal - Bloodqueen

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Beitrag von Mister Ich Mi 28 Jan 2015, 01:45

Xanders „Hübscher Junge“

Es war das Jahr 1438. In einer Parfümerie in Amsterdam arbeitete ein Bursche mit außerordentlichem Talent. Leider war er in einen niedrigen Stand geboren und war nur ein besserer Gehilfe für den Meister. Doch der Bursche war talentiert. Der Duft der Dinge erweiterte seinen Horizont, flutete durch ihn hindurch und zeigte ihm neue, ungeahnte Möglichkeiten auf. Der Meister war sich der Begabung seines Gehilfen durchaus bewusst, doch anstatt diese Talente zu nutzen, reagierte er mit Neid und Argwohn.
Noch jemand kannte das Talent des Burschen. Xander van Garres, ein betuchter adeliger Stammkunde. Er galt als exzentrisch, und der Meister öffnete für ihn stets nachts sein Geschäft. Xander fand Gefallen an dem Burschen. Der Umstand, dass er junge Männer generell bevorzugte, war diesem Gefallen zuträglich, denn dieser Bursche hatte etwas ganz Besonderes an sich. Eine Zeit lang besuchte der Adlige die Parfümerie nur noch, wenn der Gehilfe zugegen war und eines Abends, als der Meister erneut nur Hohn und Schläge für seinen Burschen übrig hatte, nahm Xander ihn mit sich.  An diesem Tag wurde aus dem Burschen der Vampir Ruben Garres gemacht. Er würde es niemals bereuen.
Xander und Ruben liebten sich oft und zärtlich, irgendwann wandte Xander sich anderen Burschen zu und gab Ruben frei. Doch beide verband bis heute eine tiefe Verbundenheit und aus der Liebe war Freundschaft geworden. Ruben blieb stets in der zweiten Reihe. Nie zeigte er Ambitionen weiter nach oben zu kommen. Nach seiner Zeit im Blutkult wurde er ein Verwalter, ein Geschäftsmann und ein Lebemann, der sich durch seine Art viele Freunde und nur sehr wenige Feinde gemacht hatte.


„Die Neue Welt“

Ruben war es auch, der die Übersiedlung des Hauses Garres nach Amerika organisierte. Wir schreiben das Jahr 1760. Haus Garres wurde von Marcus Valerius endlich aus der alten Welt verdrängt. Valerius kontrollierte das Konzil nun fast vollständig und drängte Garres aus dem Rat hinaus. Die neue Heimat war nun Pennsylvania.
Das Haus wurde nahe Philadelphia eingerichtet. Der Blutkult übersiedelte in ein unterirdisches Tunnelsystem, das als die Cornwall Iron Mine ganz andere Berühmtheit erlangte. Die Mine förderte Gold und Eisenerz aus dem kargen Boden und das Geschäft des Hauses Garres begann erneut zu florieren.
Willas Garres hatte eine ganz spezielle Aufgabe für den Treuesten seiner Diener. Olivia wünsche sich seit geraumer Zeit eine „Tochter“. Nun endlich hatte sie jemanden ausgewählt: den Bastard des Bischofs von Philadelphia. Ein Mädchen namens Georgina. Sie war angeblich die Tochter einer Hure. Ruben solle sie still und unverletzt ins Haus schaffen. Willas würde seiner Olivia ein Geschenk machen.
Ruben fragte nicht näher nach dem Grund dieser doch sehr seltsamen Wahl und machte sich mit seinem treuen Diener Franklin ans Werk. Er quartierte sich bei den Millers ein. Eine neureiche Familie deutscher Abstammung, die sich gerne an den vermeintlich gewinnbringenden Rockzipfel des Hauses Garres hängten. Ruben war besonders von dem jungen Robert angetan. Er war wirklich ein hübscher Bursche. Der alte Miller entpuppte sich als wahrer Lebemann. Bei einem Vieraugengespräch enthüllte er Ruben eine ganze Reihe an Freudenhäusern. Kryptisch fügte er noch hinzu, dass, sollte Ruben etwas ganz besonderes Suchen, er ihm die Nummer zwei empfehlen würde.

Also machte sich Ruben in das zweite Bordell auf der Liste auf, um erste Nachforschungen anzustellen. Mit seinem Wams und der weißen Perücke wirkte er wie jeder andere Gecke, der des Nächtens in den Vergnügungsvierteln Philadelphias etwas Zerstreuung suchte. Ruben nährte sich an einer Straßendirne. Die Leiche würde Franklin schon wegschaffen. Dieser Mann war ein wahrer Goldgriff. Völlig devot, redete nicht viel, stellte keine Fragen. Die Gewalt und der Tod, den Ruben verursachten, erregten ihn auf eine abartige Weise, auch wenn er es niemals zeigte. Er war ein gefährlicher Irrer, doch solange Ruben das tat, was er nun einmal tat, war Franklin sein gefährlicher Irrer.

Das Freudenhaus schmückte sich mit dem klingenden Namen „Freuden aus 1001 Nacht“. Ruben erhielt eine Maske und musste sich ansonsten völlig entkleiden. Man gab ihm eine Art Mantel aus Baumwolle. So waren alle gleich. Ruben streifte durch das Etablissement. Es roch nach Schweiß, Sex, Opium, Tabak und Alkohol. Ruben war die Freudenviertel Amsterdams oder Wiens gewöhnt. Wenn das hier der Gipfel der Freuden sein sollte, hatte dieses Amerika noch einen langen Weg vor sich.
Die Mädchen waren hübsch, kamen aber auch nicht über das hinaus und boten sich billig an. Dennoch könnte man gewiss ein paar hübsche Momente in diesem Haus haben, doch Ruben war nicht hier, um sich zu amüsieren.
Geduldig suchte er nach einem Hinweis nach Gerogina. Die Mädchen waren bei Weitem nicht aus dem fernen Orient. Schwarzes Haar, meist lang. Diese tiefen dunklen Augen, der Geruch nach Minze und Binsenkraut, Zigeuner, kein Zweifel. Mitten in Gedanken wurde er angesprochen. Der Besitzer. Ein kleiner dicklicher Mann mit Glatze und Unmengen an Opium im Blut wollte wohl erfahren, warum sich eben dieser neue Gast nicht zu amüsieren gedachte. Ruben gab an, einen Tipp bekommen zu haben. Er würde gerne die Nummer zwei probieren. Der kleine Glatzkopf grinste zufrieden und Ruben wurde in ein Separee geführt.
Der Baumwollmantel wurde ihm abgenommen. Völlig nackt wandte sich Ruben den Dingen zu, die in diesem Separee bereits auf ihn warteten. Lederne Fesseln und eine Schale mit Flüssigkeit. Ruben trat näher und beschnupperte die Schale. Mohnblume, Dämmerwurz und eine nicht unerhebliche Menge Muskat. Ein berauschender Trunk, der den meisten Männern wohl die Besinnung rauben würde. Richtig dosiert jedoch konnte die Wirkung durchaus interessant werden. Zwei nackte Schönheiten betraten den Raum. Sie tauchten hinter einem Vorhang hervor und begannen Ruben zu liebkosen und ihm die Fesseln anzulegen. Zwillinge, so stellte Ruben fest und hoffte das diese Beiden nicht die gesamte Nummer zwei ausmachen würden. Es war durchaus erquicklich, doch in seiner Situation würde es eine Verschwendung von Zeit bedeuten. Er ließ sich fesseln. Die beiden Damen zogen die ledernen Riemen so fest das sie sanft in die Haut schnitten. Dann ließen sie ihn zurück und verschwanden ebenso unverhofft wie sie gekommen waren. An ihre Stelle traten drei nackte schwarze Hünen. Ruben teilte Xanders Vorliebe nur zu einem gewissen Grad. Sein Erschaffer hätte wohl seine Freude mit den muskulösen Sklaven, doch Ruben stand nach dem Zwillingspärchen der Sinn nach etwas sanfteren. Doch die Drei waren nicht hier, um ihm zu Diensten zu sein. Zwei packten ihn und hielten ihn sanft, aber bestimmt fest. Der Dritte ergriff die Schale und machte Anstalten, Ruben den Inhalt einzuflößen. Ruben verstand, sie zwangen ihn zu nichts. Dies war alles Teil eines Spiels, ein Ritual um das Blut in Wallung zu bringen und dem Ganzen einen Hauch des Mysteriösen zu verleihen. Ruben spielte mit und lies sich den Trunk verabreichen. Sein Metabolismus dürfte ohnehin mit den schlimmsten Auswirkungen fertig werden und ein kleiner Trip würde wohl nicht schaden.
Ihm wurden die Augen verbunden und er wurde in einen weiteren Raum gebracht. Dort saß er auf dem Boden und wartete, während das Gebräu begann, seine Wirkung zu entfalten. Er spürte den Sturm am Rande seines Bewusstseins. Dann nahm ihm jemand die Binde von den Augen. Der Raum war fast völlig in Dunkelheit gehüllt, was jedoch für Rubens Augen kein Problem darstellte. Ein Mädchen kniete vor ihm, keine vierzehn Jahre alt. Mit langem schwarzem Haar und Augen so tief wie die Dunkelheit, die sie umgab. „Wer bist du?“, hauchte er. „Ein Engel“, gab sie zu Antwort, gekünstelt und einstudiert. Sie begann ihn zu liebkosen, leckte an seinen blutigen Striemen. Der Raum war ausstaffiert mit Kruzifixen und heiligen Symbolen, doch nichts hier hatte mit Gott zu tun. Kein Segen erfüllte diesen Raum. Er war eine blasphemische Kulisse, nichts weiter. Ruben bemerkte die Gucklöcher an den Wänden. Wer auch immer gerade zusah, er hatte, den Geräuschen zu Folge, gerade sehr viel mit sich selbst zu tun.
Der „Engel“ strich ihm über das Haupt und sein Gesicht. Ruben leckte ihre Handfläche ab. Seine Sinne rasten in ihm und vollführten einen wilden Tanz. Diese Mädchen war etwas Besonderes. Das konnte er fühlen. Es brauchte seine gesamte Willenskraft, um seine Fänge nicht auszufahren und sie in das Geschöpf vor sich zu schlagen, ihr Blut zu trinken und ihr seines zu geben. Sie war dafür bestimmt, eine der Ihren zu werden. So gewiss, wie am Abend die Sonne untergeht. Er musste sie gefunden haben. „Georgina?“, flüsterte er. Das Mädchen bejahte verwirrt. „Willst du hier raus?“, bohrte Ruben weiter. Tränen standen dem Mädchen in den Augen „Ja…“, flüsterte sie, flehte sie. Dann wurde sie zurück gerissen. Ruben bemerkte die Kette, die ihr um den Hals gelegt war. Sie mündete im hinteren Teil des Raumes. Eine merkwürdige Art Mechanismus zerrte Georgina weg von ihm. Mit einem Knacken verschlossen sich die Gucklöcher und der Glatzkopf betrat mit seinen schwarzen Hünen den Raum. Das jähe Licht blendete Ruben. Er sollte sich amüsieren und nicht plaudern. Der Glatzkopf schien über Sinne zu verfügen, die über die eines normalen Menschen hinaus gingen. Ein verfluchter Hexenmeister. Ruben war sich nicht sicher, ob er vollends aufgeflogen war. Er ließ sich hinaus begleiten. Im Grunde wusste er, wo er diese Georgina finden würde und woran er war. Morgen Nacht würde er zuschlagen. Der Geschmack ihrer Haut, ihre Augen, ihr Geruch ließen ihn den ganzen Tag über keine Ruhe. All das würde ihm nie wieder Ruhe lassen.

Am nächsten Abend zog er vom Haus der Millers erneut los. Es brauchte einiges an Überredungskunst, den alten Herrn zu überzeugen, Ruben seinen einzigen Sohn auf die nächtliche Tour mitzugeben. Ruben brauchte einen Lockvogel und er brauchte jemanden, um gegebenenfalls auf Georgina aufzupassen, wenn die Sache aus dem Ruder laufen sollte. Letztlich willigte der alte Miller ein, wollte er es sich doch nicht mit den Garres verscherzen. Allerdings sollte sein Haussklave die beiden begleiten. Franklin würde sich um den Mann kümmern, daran hatte Ruben keinen Zweifel. Auf den Weg schwor er den jungen Robert Miller auf das ritterliche Ziel ein, Rubens große Liebe aus den Fängen eines schurkischen Zuhälters zu befreien. Der Junge machte sich nicht viel aus Bordellen und so war das die einfachste Möglichkeit, ihn zu motivieren. Dass die Geschichte nicht gänzlich erfunden war, half Ruben dabei, besonders überzeugend zu sein.
Wieder in den „Freuden aus 1001 Nacht“ war es diesmal Robert, der die Nummer Zwei gerne Probieren würde. Ruben suchte zunächst die mit Vorhängen abgetrennten Alkoven auf, in denen man durch die Gucklöcher in den Raum blicken konnte, in dem Georgina gefangen gehalten wurde. Neben ihm stand ein dicklicher Mann, der sein fleischiges Gesicht gegen ein solches Loch presste und in freudiger Erregung leise grunzte. Es brauchte nicht viel um herauszubekommen, dass es sich um den Bischof selbst handelte. Er war sehr gesprächig. Ein paar Drohungen sowie Appelle an das Gewissen später, wusste Ruben wie er Georginas Ketten lösen konnte, wo er den Schlüssel dazu finden würde und wie er über einen geheimen Ausgang fliehen konnte.
Er suchte den glatzköpfigen Besitzer mit der Opiumpfeife auf. Ein Geschäft, das war es, was Ruben ihm anzubieten hatte. Den guten Willen des Hauses Garreth gegen das Mädchen. Doch der Hexenmeister wurde gierig. Würde Willas Geld dafür bezahlen wollen, hätte er sein Geschenk vermutlich längst selbst gekauft. Ruben griff an, Gier war etwas, das er schlicht nicht leiden konnte und die Anmaßung dieses abgehalfterten Hexers brachte seine dunkle Seite zu Vorschein. Der Kampf war kurz, aber heftig. Am Ende war der Hexer tot und Ruben hielt den Schlüssel in Händen. Die anderen Gäste waren in Aufruhr, denn der Kampf war nicht unbemerkt geblieben. Ruben nutzte seine Schnelligkeit, um die Türen zu verriegeln, dann warf er beiläufig eine Petroleumlampe um. Dieser Ort würde heute Nacht brennen und viele Seelen mit in die Hölle reißen. Inmitten des entstandenen Chaos holte er Georgina und Robert. Der Arme hatte zu viel von diesem berauschenden Trunk gekostet. Ruben würde ihn ins Haus mitnehmen. Gerogina würde nach ihrer Verwandlung zu Trinken brauchen. Das Mädchen klammerte sich an ihn. Küsste ihn. Dankte ihm für ihre Rettung. Ruben sog ihren Duft ein. Sie würde in dieser Nacht jemand anderes werden. Georgina hatte keine Angst davor, sie freute sich sogar darauf. Alles war besser als das hier. Sie würde es niemals bereuen.                    
 

„Ein störrisches Vögelchen, ein goldener Käfig und ein Schurke“


Wir schreiben das Jahr 1810. Das Haus Garres wuchs zu einem Imperium in Übersee heran. Die Industrielle Revolution bot dem Haus ungeahnte Möglichkeiten. Nach außen hin modern, blieb Garres jedoch stets seinen alten Traditionen treu und der Blutkult florierte weiter, dennoch gelang es nicht, vollständige Kontrolle über den Kontinent auszuüben. An der Westküste etablierte sich ein anderes Vampirhaus. Kalas positionierte sich sehr früh als direkter Konkurrent. Auch Valerius und das Konzil streckten ihre gierigen Finger der neuen Welt entgegen.
Ruben war hauptsächlich damit beschäftigt, dieses neue Imperium zu verwalten, was oft tagelange Reisen zu den Minen im Norden oder den Plantagen im Süden erforderte. Die junge Georgina nannte sich nun Kandra Garres. Sie wurde von Olivia wie ihr Augapfel behütet, sehr zum Missfallen von Willas Garres und zum Missfallen von Kandra selbst. Obwohl es ihr sonst an nichts fehlte, drängte sie nach Freiheit und Selbstbestimmung. Ruben schien ihr einziger Freund zu sein und oft schien es mehr als nur Freundschaft zu sein, das die Beiden miteinander verband. Ruben ließ sich breitschlagen und nahm sie  so oft auf seine Reisen mit, wie Kandra sich fortstehlen konnte. Unterwegs lernte Kandra eine Menge von dem nun fast 400 Jahre alten Vampir. Auch wenn ihr Interesse am Blutkult beinahe besorgniserregend war, so lehrte ihr Ruben bereitwillig alles, was sie wissen musste. Der Blutkult jedoch blieb ein Geheimnis, Ruben nahm solche Dinge sehr ernst. Olivia sollte entscheiden, wann Kandra so weit war, in den Kult eingeführt zu werden. Er war erstaunt, dass Olivia ihr Wunschkind derart vernachlässigt hatte, doch er genoss die Zeit mit seiner Kandra. Sie hatte sein Blut zuerst gekostet, diese Verbindung würde niemals zerbrechen, auch wenn er nicht ihr Erschaffer war.


„Geheimnisse, in Blut geschrieben“

Wir schreiben das Jahr 1861. Ruben kehrte gerade von einer seiner Geschäftsreisen zurück, da war Kandra bereits bei ihm. Natürlich hatte er ihr ein Geschenk mitgebracht, genauso wie er sonst zu tun pflegte, wenn er verreiste und sie nicht mitnehmen konnte. Ein Ritualknochen der Abagari-Indianer, kunstvoll mit roten Linien verziert und mit Federn und Perlen geschmückt. Ruben war fasziniert von den Ritualen der Ureinwohner. Es fühlte sich wie uraltes Wissen an, konserviert und am Leben gehalten. Dinge, die in der alten Welt längst in Vergessenheit geraten waren.
Für Kendra kam dieses Geschenk einer Provokation gleich. Trotz ihres Drängens wurde sie von Olivia nicht einmal in die Nähe des Blutkultes gelassen. Obwohl Kandra längst das Alter erreicht hatte, um die Riten zu durchlaufen, wie jeder höher gestellte Garres sie zu durchlaufen hatte. Willas behandelte sie ohnehin wie Luft, für ihn schien jemand wie Kandra nicht zu existieren. Sie verspürte den Reiz des Verbotenen immer stärker werden.
Die beiden spazierten durch die nächtlichen Wälder, die den Stammsitz der Garres sowie die Cornwall-Mine umgaben und unterhielten sich. Kandra wollte stets alle Details von Rubens Reisen erfahren. Nicht die geschäftlichen, die kleinen Dinge. Wie waren die Leute gekleidet? Was aßen sie? Hatet er gejagt? Wie schmeckten die Leute dort? Ruben musste ihr alles genauestens berichten.
Ruben wusste selbst, dass er nach solchen Begebenheiten ihr schwer einen Wunsch abschlagen konnte. Er konnte ihr ohnehin schwer etwas abschlagen. Für gewöhnlich nutzte Kandra diese Schwäche auch nicht aus, nicht all zu sehr. Dieses Mal jedoch war es anders. Sie wollte es sehen. Die Katakomben des Blutkults. Nur ansehen, nur ganz kurz. Olivia würde nichts erfahren. Ruben knurrte und gab nach. Eine kleine Führung würde schon nicht schaden.
Er führte sie zu einem der versteckten Eingänge und sie betraten das Allerheiligste des Hauses Garres. Die Wände, der Boden, die Decke, alles war getränkt mit Blut. Altes Blut, zum Teil. Die Gesänge während den Prozessionen verhinderten, dass das Blut gerann. Es hatte Jahrzehnte gedauert, bis alles damit getränkt war. Kandra schaute sich mit großen Augen um. Jede Kleinigkeit kam ihr wie ein Wunder vor. Die Prozession dürfte vor Kurzem hier durch gekommen sein. Alles wirkte frisch, doch niemand nutzte diesen Teil der Katakomben außer während des Blutfestes. Sie näherten sich dem Altar der Quelle. Ruben bemerkte, wie das Blut aus den Wänden und dem Boden quoll, wie es über den Boden hinter Kandra her zu kriechen schien.  Ohne Unterlass träufelte ein kleines Rinnsal von der Decke auf den Altar hinab. Kandra war fasziniert, beobachtete das Blut, wie es in einem feinen Strahl von der Decke floss und leise plätschernd auf den Altar traf, wo es sich in feinen Rillen wie Adern über den Stein verteilte. Ruben sah, wie sich diese Ader verwischten und das Blut in einem feinen Film geradewegs über den glatten Stein auf Kandra zuhielt. Blut sollte sich nicht so verhalten. Es war etwas, das er nicht kannte, das er nicht verstand und das ihm Angst machte.  Es war Zeit, wieder zu gehen. Kandra jammerte und flehte noch bleiben zu dürfen. Daraufhin wurde Ruben böse und, nur aus Versehen, berührte Kandra mit der Hand den feinen Rinnsal von der Decke. Ruben wollte das Blut schnell abwischen. Er packte grimmig ihre Hand. „Du sollst doch nichts anfass… „ Dann verstummte Ruben ebenso wie Kandra. Beide sahen sie ungläubig zu, wie das Blut innerhalb eines Augenblicks in ihrer Hand versickerte, wie es aufgesogen wurde und ihr unter die Haut kroch. „Was zum…“, hauchte sie. Dann verdrehte Kandra die Augen und verlor das Bewusstsein.
Ruben bekam es mit der Angst zu tun. Er fing ihren Leib auf und trug sie Richtung Ausgang. Ein Ruf verfolgte ihn. Alt und lockend. „Ruben… arash tagar gal varlach…. arash cu´r tal tagar…..Ruben… arash tagar gal varlach….arach cu´r….“, immer und immer wieder. Es war, als kämpfte er gegen einen Sog an. Er wagte nicht, sich umzudrehen, bot alle Kraft auf, die ihm zur Verfügung stand und trug Kendras Körper mühsam Schritt für Schritt aus den Katakomben.
Draußen warteten bereits Olivias Getreue. Sie nahmen ihm Kandra ab und brachten sie weg. Ihn packten sie und brachten ihn zu Olivia. Die Herrin von Haus Garres wollte persönlich mit ihm sprechen.
Olivia verpasste Ruben eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Er ließ es über sich ergehen. Es war so, dass Olivia seine Beziehung zu Kandra lediglich duldete. Damit, dass er sie in den Blutkult gebracht hatte, hatte er eine Grenze überschritten. Olivia betonte erneut, wie wichtig und wertvoll Kandra sei. Sie würde das Haus Garres lenken und ihre Verbündeten würden ihr das ermöglichen. Diese mysteriösen Verbündeten, Ruben erfuhr keine Namen. Aber die Konsequenzen.
Olivia wollte ihn nach Europa schicken. Er solle die letzten verbliebenen Besitzungen in der Alten Welt verwalten. Ruben wusste, was das bedeutete. Exil. Olivia wollte ihn los werden. Sie wusste, sie konnte ihn nicht einfach töten. Das würde Xander zutiefst verärgern und sie würde vor allem Kandra für immer verlieren, doch sie machte Ruben klar, dass sie ihn nicht mehr hier haben wollte. Ruben dachte nach. Er kannte sich selbst am besten. Würde er nach Europa gehen, wie lange würde er es aushalten? Wie lange würde es dauern, bis er etwas sehr Dummes tun würde, um zu Kandra zurückzukehren. Vielleicht fünfzig Jahre? Er würde sich und vor allem dem Haus Garres Schaden zufügen und das wollte er nicht. Ruben liebte dieses Haus. Ihm Schaden zuzufügen, käme einer Selbstverstümmelung gleich. Ruben lehnte dankend ab. Wenn er schon verschwinden sollte, würde er die Robe des Blutkultes erneut anlegen.
Die Dinge, die er gesehen hatte, als Kandra durch die Katakomben ging, ließen ihm keine Ruhe. Er würde dem Blutkult dienen, er würde in den alten Schriften nach Antworten suchen und er würde warten. Zeit hatte keine Bedeutung. Olivia war zufrieden. Im Kult war Ruben greifbar nah und doch für alle Augen verborgen. Vor allem vor Kandras Augen. So verschwand Ruben Garres ohne eine Nachricht, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Sie malten ihm die Symbole in Blut auf den Leib, salbten sein Haupt mit dem Blut der Ältesten. Sie legten ihm die getränkte Robe über die Schultern, ließen ihn sein eigenes Blut trinken und nannten ihn Bruder. Tag und Nacht wurden eins und Zeit hatte hier unten keine Bedeutung mehr.


„Die lange Nacht“

Es war wieder so weit. Virgil Garres würde seine Waffen und eine Probe bringen. Der Kult würde die Waffen auf ihren neuen Gegner prägen. Jede Wunde, die Virgil schlagen würde, würde sich nicht wieder schließen lassen. Der Prinz des Hauses Garres bat auch um eine kleine Trainingseinheit.
So versammelten sich die Brüder und Schwestern des Kults in der Großen Kaverne, wo der Käfig aufgebaut war, um über das Ritual zu wachen. Virgil stand in einer Ecke des Käfigs mit dem Rücken zu der umzäunten Arena. Beide Äxte vor der Brust gekreuzt, sammelte er Kraft und Konzentration.

Ruben setzte sich auf seinen Platz neben Isaak, der Magister des Blutkults und machte ein gleichgültiges Gesicht. Der Magister konnte diesen Vampir, der ihm von Olivia aufgebürdet worden war, immer noch nicht einschätzen. Ruben verhielt sich auffällig unauffällig. War er geschickt worden, um seinen Platz einzunehmen? Alt genug war er und er verbrachte viele Stunden mit dem Studium und dem Praktizieren der alten Rituale, doch er hatte niemals Anstalten gemacht, in der Hierarchie des Kultes aufzusteigen, obwohl er das Zeug dazu hatte. Verflucht, er hatte auch das Zeug dazu, ein Magister zu werden. Isaak wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als sie den Bloodsucker hereinbrachten, der für diesen Kampf ausgewählt worden war. Ruben selbst hatte ihn erschaffen und Isaak war sichtlich beeindruckt.

Ruben empfand nichts, als er seinen Sucker sah. Er hatte ein paar Modifikationen vorgenommen. Die Hände waren gegen rasiermesserscharfe Klingen von einem halben Meter Länge getauscht worden, die Augen mit Vitriol ausgelöst und gegen bemalte Tonkügelchen ersetzt, auf denen fein säuberlich winzige Symbole eingebrannt waren. Die Riten der Kräftigung wurden vollzogen und der Fluch des Ersten mit Kindeshaar in seinen Rücken gestickt. Das alles musste getan werden, bevor er den Mann in einen Bloodsucker verwandelte. Es hatte eine Weile gedauert, bis er fertig war. Dieser Mann hatte dem Haus Geld gestohlen, einen solchen Sucker aus ihm zu machen, war fast zu gut für ihn.
Ruben kannte Virgil. Er würde einen einfachen Kampf als Beleidigung ansehen. Dieser Sucker würde es ihm nicht leicht machen. Der Kampf war wild und rücksichtslos. Rubens Sucker war schnell und stark. Einige Male brachte er Virgil tatsächlich in Bedrängnis, was bei den Novizen ein nervöses Raunen auslöste. Ruben sah hinunter auf die Ränge der Novizen. Einst war er auch einer von ihnen gewesen. Als er gerade 100 Jahre alt wurde. Die Sprösse des Hauses, die den Ritus durchlaufen mussten, um wahre Garres zu werden. Wie leicht ihm die Zeit damals vorkam. Wie wenig er gelernt hatte. Es war etwas ganz anderes, tatsächlich Teil des Kultes zu sein, das wusste er nun.
Virgil versetzte der rasenden Kreatur den Letzten entscheidenden Hieb und der Kampf war vorüber. Er genoss seinen Triumpf nicht. Weder jubelte er, noch machte er eine Geste des Sieges, dennoch war ihm der Jubel der Novizen sicher. Er packte nur seine Äxte ein und wartete, bis die Mönche den Käfig öffneten. Für Virgil Garres lag kein Triumphgefühl in dem, was er tat. Töten war für ihn so etwas wie Hände waschen. Man tat es einfach, ohne große Notiz davon zu nehmen.
Ruben würde derjenige sein, der Virgils Äxte und die Probe nehmen und seine Waffe prägen sollte. Der Ritus dauerte drei Monde. Ruben genoss die kurzen Gespräche mit Virgil. Die beiden hatten sich einst prächtig verstanden. Ruben mochte die einfache, direkte Art, die Virgil stets ausgemacht hatte. Doch auch Virgil hatte sich verändert. Er gab sich wortkarg. Seit er das Versprechen des Todes geworden war, verlor sich seine Persönlichkeit. Er wurde matt, grau und scharf, wie seine Waffen.
„Wie geht es ihr?“, immer dieselbe Frage. „Sie lebt und sie sucht immer noch nach dir.“ Immer dieselbe Antwort. Doch dieses Mal genügte sie Ruben nicht. „Welches Jahr schreiben wir?“, fragte er, das erste Mal, seit er den Kult betreten hatte. „1964.“ Diese Antwort war wie ein Schock für Ruben und er bereute augenblicklich, die Frage gestellt zu haben. Einhundert Jahre, sie fühlten sich nicht so an. „Bitte sag ihr nicht…“, Ruben hatte Mühe die Fassung zu bewahren. „Wie immer, alter Freund“, war die Antwort. Die Beibehaltung alter Phrasen half Ruben, sich erneut auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Er nahm die Äxte von Virgil sowie die Phiole mit der Probe entgegen. Ein kleines Fellbüschel. Virgil bemerkte Rubens fragenden Blick. „Der selbsternannte Wolfskönig von Baltimor.“ Ruben nickte. „In drei Monden sind sie bereit.“ Was waren schon drei Monde gegen 100 Jahre. Dann verließ Ruben seinen alten Freund und fragte sich, ob er sich ebenso sehr verändert hatte.


„Alte Schriften, neue Leben"

Ruben eilte erneut in die Bibliothek. Er hatte vor kurzem in einer Schriftrolle Harmands des Gesichtslosen einen Verweis auf ein altes Buch gefunden. Ein unscheinbares Grimoire unbestimmten Alters.
Seither suchte er dieses Buch, was kein leichtes Unterfangen war. Die Bibliothek des Blutkultes war gewaltig und schlecht geordnet. Nun endlich hatte er das Buch gefunden.
Es war in der alten Sprache geschrieben, die er zwar beherrschte, die aber unendlich verschiedene Dialekte und Varianten aufwies. Diese Grimoire war in einer Spielart der alten Sprache geschrieben, die älter zu sein schien, als alles das er kannte. Er verstand nicht sonderlich viel, alles wirkte wirr und unzusammenhängend. Es fiel ihm schwer, Wörter herzuleiten oder gar zu entziffern. Ruben ließ nicht locker. Er interpretierte Stellen, erfand Wörter hinzu, um den Sätzen einen Sinn zu geben. Sein Finger flog die alten Zeichen entlang, seine Lippen versuchten, die Wörter zu bilden, sein Geist mühte sich ab, zu übersetzen oder einen Sinn zu erkennen.  Seite um Seite, Stunde um Stunde. Plötzlich stieß er auf etwas. Arash cu´r tal Tagar… Es traf ihn wie ein Blitz. Er konnte sich daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, dass er diese Wörter gehört hatte. Aufgeschrieben in diesen uralten Buchstaben, ergaben sie plötzlich einen Sinn.  Das Blut braucht seine Königin…  Daneben eine Abbildung. Ein weiblicher Körper, der zu schweben schien, Arme und Beine von sich gestreckt. Ströme aus Blut, die aus allen Richtungen auf sie zuflossen, in sie hinein, durch sie hindurch. Das Blut braucht eine Königin. Eine Königin des Blutes… Kandra.
„Was machst du nur immer hier unten, Ruben?“ Ruben wurde jäh aus den Gedanken gerissen. „Du beteiligst dich nie an der Gemeinschaft…“ Isaak hatte die Hände am Rücken verschränkt, er hatte Ruben bereits in der Bibliothek vermutet und musste nicht lange nach ihm suchen. Ruben schloss das Buch und drehte sich zu seinem Magister um. „Ich habe keine einzige Prozession versäumt, kein Ritual vergessen und…“ - „Ja, ja, ja, Ruben. Ist ja schon gut. Aber abseits deiner Pflichten gehst du dem Kult aus dem Weg. Warum bist du hier, Ruben?“ – „Ich lese eben gerne…“ – „Ich meine den Kult, Ruben. Warum bist du im Kult?“ Ruben lächelte nur, es war immer dieselbe Frage und auch diesmal würde Isaak keine zufriedenstellende Antwort erhalten. „ Die Prozession beginnt bald, du solltest daran teilnehmen, Ruben.“  Ruben nickte und verabschiedete seinen Magister.
Als dieser sich wieder aus der Bibliothek entfernt hatte, wollte sich Ruben wieder dem Buch widmen, als er ein Geräusch vernahm. An der Decke, weiter hinten in der Bibliothek, dazu ein fremder Geruch. Ruben schloss das Buch und legte es an seinen Platz zurück. Dann schlich er durch die Regalreihen diesen Geräuschen entgegen. Er fand zwei tote Brüder. Jung und unerfahren. Man hatte sie schnell und sauber getötet. Doch Ruben war älter und schneller. Blitzschnell drehte er sich um und packte den Angreifer, der wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war, an der Kehle. Der Vampir ließ das lange Messer sinken. Ruben bemerkte fünf weitere, an der Decke verborgen. Zu seinem Erstaunen machte ihm der Vampir, den er an der Gurgel hatte, ein Angebot. Der Eindringling machte ihm Versprechungen. Geld, Macht, Freiheit und die Gunst des Hauses Callas würden auf ihn warten. Ruben dachte nach, während die Gefährten des Eindringlings Bücher und Schriftrollen einsammelten und in ihre Rucksäcke packten. Wie waren diese Leute in den Blutkult gelangt? Warum beging Zestra Callas ein solches Sakrileg? Ruben würde mit ihnen gehen, er würde mitspielen und herausfinden, was hier vor sich ging, also willigte er ein.
Sie flohen durch alte Stollen und geheime Wege. Unterwegs gerieten sie in ein Rudel Bloodsucker. Wächter, die die alten ungenutzten Stollen durchstreiften, um eben solche unerwünschten Besucher fern zu halten. Drei der Vampire stellten sich zum Kampf. Den anderen gelang die Flucht. An der Oberfläche wartete ein Fahrzeug. Eine Art Kutsche, die sich jedoch ohne Pferde fort zu bewegen vermochte. Die Welt hatte sich wahrlich gewandelt. Sie brachten ihn in eine Wüste in der Nähe von Los Angeles. Ruben fragte den Vampir der ihn „abgeworben“ hatte, nach dem aktuellen Jahr. Die Antwort lautete 1983. Ruben war das erste Mal seit über 100 Jahren wieder an der Oberfläche.


"Eine Schlange unter Schlangen"

Ruben ging sehr behutsam vor. Zestra vertraute ihm niemals vollständig. Dazu war sie zu alt und zu vorsichtig, doch der Umstand, dass Ruben als einziger der von ihr abgeworbenen Blutpriester tatsächlich in der Lage war Bloodsucker zu erschaffen, bewies ihr, dass sie diesen zwielichtigen alten Vampir brauchte. Ruben wurde in ein Labor geführt das mitten in der Wüste an das Haus Kalas angeschlossen war. Es gab im Umkreis von 200 Meilen nichts als die Wüste und eine Handvoll kleiner Ansiedelungen. So tauschte er die Robe gegen einen Arztkittel. Der Komplex bestand aus einer großen, oberflächlichen Halle, die jedoch nur mit künstlichen Licht beleuchtet wurde. Moderne Gerätschaften waren überall aufgebaut, als ob Technik die Geheimnisse des Blutkultes ersetzen könnte. Sie arbeiteten eng mit einer Gruppe sterblicher Wissenschaftler zusammen. Ruben erfuhr, dass eine Halle weiter noch mehr dieser Menschen arbeiteten, ihnen jedoch der Kontakt verwehrt blieb. Dennoch war das der Grund, dass sie meist am Tag arbeiteten. Zwei weitere, ehemalige Garres-Vampire waren ebenfalls dort. Beide aus anderen Blutkulten des Hauses. Ruben war erstaunt. Es gab also weitere Kulte, die so nichts voneinander wussten. Es war, als würde die linke Hand nicht wissen, was die Rechte gerade tat. Die beiden waren ganz klar Verräter und sie neideten Ruben sein Wissen und seine Erfahrung. Ruben musste sich nach anderen Verbündeten umsehen.
Zestra vertraute ihm, wie gesagt, nicht völlig. Deshalb wurde ihm auch der Vampir zur Seite gestellt, der ihn abgeworben hatte. Yuri war noch sehr jung und es war sehr einfach für Ruben, ihn um den Finger zu wickeln. Doch es war keine reine Zweckbeziehung. Ruben lernte von ihm alles, was er über diese neue, fremde Welt wissen musste. Im Gegenzug profitierte der junge Vampir von der Weisheit und Erfahrung eines Wesens, das bereits über 500 Jahre alt war. Yuri wurde tatsächlich zu so etwas wie ein Freund für ihn.
Ruben begann diese neue Welt zu lieben. Die Möglichkeiten hatten sich verhundertfacht. Es brauchte vielleicht diesen distanzierten Blick, den Ruben besaß, um sich dessen überhaupt bewusst zu werden. Am meisten jedoch liebte Ruben die Erfindung des Films. Das erste Mal seit über 500 Jahren sah er einen Sonnenaufgang, und das trieb ihm die Tränen in die Augen.
Es dauerte weitere fünf Jahre, bis sich Ruben sicher genug fühlte, um das erste Mal eine Nachricht an sein eigenes Haus zu übermitteln. Es war nicht leicht. Erst musste er herausfinden, wie. Als er einen Ort und eine Nummer für dieses Telefon hatte, brauchte er eine Gelegenheit.
Es war an einem Abend, an dem Ruben gemeinsam mit Yuri auf der Jagd war. Die beiden löschten eine Bar in einer kleinen Stadt nahe der Wüste aus. Sie tranken und vögelten die ganze Nacht. Die Menschen waren immer noch wie Schafe.  Als sich Yuri eingehender mit der Kellnerin befasste, ergriff Ruben die Gelegenheit.  Ein Münztelefon verschaffte ihm Kontakt zu Xander. Auf diese Weise erfuhr das Haus Garres, dass eines seiner treuesten Kinder noch am Leben und dem Haus immer noch treu ergeben war. Für viel mehr blieb keine Zeit.
Ruben hatte zu lange gewartet. Wenige Tage später beobachteten er und seine Verräter-Kollegen ein Treffen zwischen Zestra und einem Menschen, der zwar sehr jung war, sich aber mit der Herrin des Hauses Kalas auf Augenhöhe zu befinden schien. Am nächsten Tag waren all die menschlichen Wissenschaftler verschwunden. Ruben und die beiden anderen Vampire wurden in der Halle eingesperrt. Das automatische Dach wurde geöffnet und ließ das Licht der kalifornischen Sonne in die Halle strömen. Man wollte sich ihrer entledigen. Ruben floh, direkt in die Sonne. Seine Haut verbrannte, schlug Blasen, löste sich rauchend in Ascheschwaden von seinem Fleisch. Ein nahes Auto war ebenso eine Falle wie der verlockende Schatten hinter der Halle. Das mussten die beiden anderen Vampire herausfinden, als sie dort von menschlichen Soldaten und ihren Gewehren in Empfang genommen wurden.
Ruben floh in die Wüste hinaus. Der Schmerz war unerträglich. Wie ein Wahnsinniger rannte er, fast zu schnell für das menschliche Auge, in die schattenlose Ödnis hinaus. Die Sonne verbrannte sein Fleisch, kochte sein Blut, seine Kleider standen in Flammen, während er mit bloßen Händen in den kargen Boden der Wüste grub wie ein Hund. Ruben verscharrte sich selbst in der heißen trockenen Erde und entfloh auf diese Weise der unbarmherzigen Sonne.
Er konnte nicht atmen, sein Fleisch war zum Teil bis auf die Knochen verbrannt, Schmerz und die klaustrophobische Enge dieses Grabes drohten ihn wahnsinnig zu machen.  Sein Leben zerfloss vor seinen Augen. Seine Erschaffung, sein Wirken für das Haus Garres, die Reise nach Amerika, alles wirkte fahl und unbedeutend. Doch dann kam ihm der Geruch dieses Mädchens in den Sinn, das er vor so vielen Jahren befreit hatte. Die Erinnerung an den Duft ihrer Haare, der Geschmack ihrer Haut, der Klang ihrer Stimme. Kandra. Ruben klammerte sich an all das wie ein Ertrinkender. Er füllte seinen gepeinigten Geist damit auf, fühlte, wie er ruhiger wurde, wie die Panik aus ihm wich, wie sein verbranntes Fleisch wieder zu heilen begann. Ruben würde heute nicht sterben.
Die Nacht brach herein und Ruben entstieg seinem Grab, fast völlig geheilt. Ein weiterer Anruf aus dem nächsten Diner genügte und er wurde abgeholt und heim in das Haus Garres geholt.


„Das Mädchen und der Tod“

Es hatte sich viel getan im Hause Garres. Olivia schien entmachtet und Willas führte das Haus mit strengerer Hand als früher. Scheinbar hatten sich Olivias geheimnisvolle Verbündete in Luft aufgelöst.
Virgil war nun der Scharfrichter des Hauses. Eine Waffe und ein gewissenloser Mörder durch und durch.
Das Haus selbst war in Amerika immer noch unerreicht. Auch wenn sie weder das Konzil noch Marcus Valerius nicht gänzlich draußen halten konnten, gab es niemanden, der ihnen dort Konkurrenz machen konnte.
Kandra trieb sich in Europa herum. Sie soll sich mit einem Freelancer zusammengetan haben, der sich Frice nannte. Kendra schien sich bereits so einigen Ärger eingehandelt zu haben, nun war das Maß des Herren der Garres voll. Sie sollte sterben und Virgil sollte derjenige sein, der das bewerkstelligen sollte.
Ruben schlich sich in den Blutkult zurück, so dass er es war, der Virgils Äxte auf Kendra prägen sollte. Ruben versuchte den Mann, der vor langer Zeit fast wie ein Bruder für ihn war, zur Vernunft zu bringen. Doch Virgil blieb stur. Er war das Werkzeug, und Willas derjenige, der es führte. Ruben nahm die Waffen entgegen, doch tauschte er Kandras Blut gegen das seine und prägte die Waffen somit auf ihn selbst.
Dennoch würde es keine Rettung für seine geliebte Kandra geben, es sei denn, er könnte Willas selbst umstimmen.
Willas konnte Kandra noch nie ausstehen und gab sich uneinsichtig, bis Ruben anmerkte, dass Olivia vielleicht Recht haben könnte. Was, wenn Kandra tatsächlich die Blutkönigin wäre, was auch immer das bedeuten möge. Was, wenn Willas diese Chance einfach wegwerfen und es ewig bereuen würde. Willas lenkte ein und pfiff Virgil zurück, doch Ruben würde nicht nach ihr suchen dürfen, um sie zur Vernunft zu bringen. Willas meinte, wenn Kandra etwas Besonderes sei, müsste sich allein beweisen. Ruben wurde eine andere Aufgabe zuteil. Der Geheimdienst der Garres steckte noch in den Kinderschuhen. Ruben sollte ihn aufbauen und sowohl nach den Verrätern innerhalb des Hauses sowie nach den gestohlenen Büchern suchen. Zestra und ihr Haus Kalas durften nicht ungestraft davonkommen. Ruben war seinem Haus treu ergeben und willigte ein. Zumindest konnte er Kandras Leben retten.


„Olivia“


Weitere zehn Jahre waren vergangen. Ruben saß in seinem Büro in Chicago, beobachtete den Schneesturm, der draußen tobte und blies Trübsal. Rubens Geheimdienst brachte Ergebnisse, wenn auch nur wenige. Kürzlich hatte er eine Anfrage des Konzils beantwortet und dieses Haus Kalas damit endgültig ans Messer geliefert.
Seine Aufgabe war nicht der Grund für seine düsteren Gedanken, es waren die Dinge, die geschehen in seinem geliebten Haus waren. Kandra hatte Willas getötet und das Haus Garres übernommen. Sie war der Todesstrafe durch das Konzil nur knapp entgangen. Stattdessen hatte man ihr die Zähne gezogen und seither trug sie diese Maske. Viele im Haus hatten mittlerweile begonnen, selbst so eine Maske zu tragen. Ein Zeichen des Respekts und der Loyalität ihrer neuen Herrin gegenüber. Kandra hatte Willas getötet. Egal welche Gründe sie dafür gehabt haben mochte, man tötete den Herrn seines Hauses nicht. Man munkelte, sie wäre verrückt geworden. Ruben wollte ihr nicht unter die Augen treten, auch wenn er es längst hätte tun können. Er blieb Philadelphia fern, und so lange die neue Herrin des Hauses nicht nach ihm schickte, würde es auch so bleiben.
Der Mord an dem Führer seines eigenen Hauses, war ein Verbrechen gegen alles, woran Ruben jemals geglaubt hatte. Das war etwas, das er ihr nicht verzeihen konnte. Ruben beobachtete den wilden Tanz der Schneeflocken draußen und fragte sich, warum er sie dann nicht einfach vergessen konnte.

Xander besuchte ihn manchmal und riss ihn aus seiner Einsamkeit. Dieses Mal hatte er eine neue Aufgabe für Ruben. Olivia war verschwunden. Bei der Zerschlagung des Hauses Kalas in L.A. waren Bloodsucker aufgetaucht, die mit Olivias Blut erschaffen wurden. Ruben war froh, etwas zu tun zu bekommen und machte sich auf den Weg.
Er begann mit seiner Suche an dem Ort, an dem Olivia das letzte Mal gesehen worden war. Ein Blutritual, alt und gefährlich, hatte Rubens ohnehin feine Sinne auf Olivia geprägt. Er folgte der Spur, die wie eine Erinnerung immer mehr zu verblassen schien, bis nach …
 
Sie endete bei einem Lagerhaus eines Kühlgeräteherstellers. Ruben war sich sicher, dass diese Firma reine Tarnung war. Er schlich sich ein, in dem er sich als Vertreter für Bauteile ausgab. Zu viele Kameras, ein gläsernes Büro, zentral in der Fertigungshalle. So etwas war lange nichtmehr zeitgemäß und erinnerte Ruben an Zestras Büro in dem Labor in L.A. Er wimmelte den Vorarbeiter wieder ab und versteckte sich in der Halle, bis die Arbeit endlich zum Erliegen kam und die Angestellten nach Hause gingen. Geschickt umging er die Kameras und schlich in das Büro. Ruben bemerkte sofort, dass die gesamte Einrichtung nur Dekoration war. Wie in einem dieser Möbelhäuser. Die Spur von Olivia wurde wieder stärker. Sie musste hier irgendwo sein, ganz in seiner Nähe…. Irgendwo… unter ihm.
Das Büro war in Wirklichkeit ein Lift. Instinktiv fasste seine Hand den richtigen Ordner und aktivierte ihn. Langsam fuhr das gläserne Büro nach unten. Sein Blick fiel auf Gerätschaften, die denen in L.A. nicht unähnlich waren. Soldaten patrouillierten, ein Dutzend, vielleicht ein paar mehr. In der Mitte des Raumes fand er sie. Olivia auf der einen, Zestra auf der anderen Seite. Beide waren gekreuzigt und in einem gläsernen Schrank aufgehängt worden. Schläuche führten in sie hinein und wieder heraus. Man versorgte sie mit Blut und zapften ihnen das ihre ab. Beide waren sediert und schienen zu schlafen.
Ruben wappnete sich. Er würde die Wachen mit Reden beschäftigen, gut möglich, dass sie ihm seine Geschichte abkauften, und auf einen guten Zeitpunkt warten, um zuzuschlagen.
Der Soldat, der ihn in Empfang nahm, war jedoch nicht sonderlich gesprächig. Ein kurzer Blick auf den kleinen Bildschirm, der an seinem Gewehr montiert war, und Ruben wurde als Vampir entlarvt. Damit hatte Ruben nicht gerechnet, diese technischen Spielereien waren doch manchmal recht unfair. Er ging augenblicklich zum Angriff über und riss dem Soldaten die Kehle heraus und stürmte weiter. Kugeln durchbohrten ihn, während er jemandem den Arm ausriss und einem Anderen den Brustkorb mit der bloßen Hand durchbohrte. Ruben tötete noch zwei weitere, aber diese Soldaten waren einfach zu zahlreich.
Er ging in Deckung, versteckte sich zwischen den Apparaturen. Während die Soldaten nach ihm suchten, schlich er zu den Leichen der Männer, die er bereits getötet hatte. Ruben malte ihnen das Zeichen Ankars auf die Stirn und murmelte ihnen Ankars Racheschwur ins Ohr. Dann ging er wieder in Deckung und wartete, wie gut sich moderne Technik mit Jahrtausende alter Ritualmagie schlagen würde. Die Schreie der Soldaten, die von ihren vermeintlich toten Kameraden abgeschlachtet wurden, hallten durch den Raum. Die Blutleichen würden ihm höchstens etwas Zeit verschaffen, doch das war alles, was er brauchte.

Er befreite erst Olivia, löste die Schläuche und legte sie behutsam auf den Boden. Für Zestra blieb keine Zeit mehr. Der Lift wurde wieder aktiv und transportierte eine in eine Robe gehüllte Person zu ihnen herab. Sie stieg aus und kam auf ihn zu. Sein Gesicht war unter einer Kapuze verborgen. Plötzlich aktivierte sich ein riesiger Bildschirm an einer Wand und das Gesicht eines Mannes erschien. Es war derselbe Mann, der damals mit Zestra sprach, nur einen Tag bevor man versucht hatte, Ruben zu töten. Nur war dieser Mann gealtert. Er stellte sich Ruben als Mr. Walker vor und schien aufgeregt über diesen, wie er es nannte, ersten Feldtest, zu sein. Die Kapuze des Neuankömmlings wurde gelüftet. Es war Yuri. Sein ehemaliger Freund trug einen eisernen Kragen, der ein Bündel Schläuche und Kabel am Körper hielt,  die in seinen kahl rasierten Kopf ragten. Seine Zähne waren allesamt angespitzt und fremde Augen starrten ihn voller Hass entgegen. „Töte ihn…“, tönte es beiläufig aus dem Lautsprecher. Ruben war schnell und stark, doch er hatte der Macht der Kreatur, zu der Yuri gemacht worden war, kaum etwas entgegenzusetzen. Ruben versuchte, zu seinem Freund durchzudringen, wollte ihm vor Augen führen, zu welchem Monstrum er sich hatte machen lassen. Er appellierte an seinen Stolz als Vampir, rief ihm all das in Erinnerung, das er ihm gelehrt hatte und langsam schwand Walkers Einfluss. Ruben musste ein paar harte Treffer hinnehmen, doch am Ende war Yuri frei. Voller Selbsthass brüllend ging er auf die verbliebenen Soldaten los, schlug Köpfe von Schultern und riss Eingeweide heraus. Walker seufzte frustriert und drückte einen Knopf. Ruben sah die Explosion kommen, packte die schwache Olivia und floh mit ihr aus dem Inferno.



"Das Blut braucht seine Königin"


Olivia erholte sich während der Fahrt zurück sehr gut. Sie beschwor Ruben, endlich mit Kandra zu sprechen. Ihre Brüder hätten ihr Versprechen bis heute gehalten und Kandra nichts erzählt. Sie wusste noch nicht einmal, dass Ruben noch am Leben war. Ruben jedoch schwieg dazu. Er gab Olivia die  Schuld daran, was geschehen war. Dass Willas noch am Leben sein könnte und weder er noch Kendra so leiden hätten müssen, wenn Olivia nicht so verdammt selbstsüchtig gewesen wäre. Damit brachte er sie zum Schweigen. Und ihr Schweigen war ihm Bestätigung genug.

Kandra freute sich, dass Olivia wieder zurück war. Oder sie tat zumindest so. Es wirkte skurril, wie sie auf ihrem Thron lungerte. Virgil stand etwas neben dem Thron. Er trug nun ebenfalls eine Maske. Ebenso wie der Rest ihres Hofstaates.
Kendra verlangte den Mann, der es vollbrachte, ihre geliebte Mutter zu ihr zurückzubringen. Das war der Moment, den Ruben lange gefürchtet hatte. Doch nun rief die Herrin seines Hauses nach ihm und er musste folgen. Als er in das fahle Licht trat, erkannte ihn Kandra sofort wieder. Sie saß da wie versteinert. Ihre Augen versanken in den seinen. Mit einer Handbewegung schickte sie ihren Hofstaat fort. „Ich dachte, du wärst tot…. Ich habe nach dir gesucht…“ – „ Ich habe mich nicht finden lassen..“ – „Warum?“ – „Weil ich diese Haus liebe, weil ich ihm nicht schaden wollte.“ Kandra ließ ihn näher kommen. Ihre Stimme wurde brüchig, klang seltsam hinter ihrer Maske. „Ich liebe es ebenfalls...“ Sie meinte, ihre Verrücktheit wäre nur eine Masche, die es ihr leichter machte, mit dieser Maske umzugehen. Der Umstand, dass man sie unterschätzte, hatte ihr vieles möglich gemacht. Auch Willas zu töten. Das war ihre Rache an dem Mann, der ihr zwei Jahrhunderte zur Hölle gemacht hatte und dann im Konzil lautstark ihren Tod gefordert hatte. Alles was sie tat, hatte sie für dieses Haus getan.
Ruben ließ sie reden. Es war ihm egal, was sie sagte, weil er nur genoss, ihre Stimme zu hören. Die Maske, alles war ihm gleichgültig, er sah die Augen seiner Liebsten und durch diese Augen hindurch war seine Kandra so, wie sie immer war. Er ging zu ihr, strich ihr durchs Haar. Über die Wange. Während sie nur redete und redete. Er würde nicht mehr warten. 140 Jahre hatten sie verloren. Er würde keinen einzigen Tag, keine einzige Stunde mehr verschwenden. Behutsam löste er ihre Maske und küsste sie lange und leidenschaftlich. „Ich habe viel gelesen in all den Jahren. Kandra, begleite mich in den Kult. Ich möchte dir etwas zeigen. Ich möchte dir alles zeigen. Arash cu´r tal Tagar.“
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